
Jeder der kleinen Wichtel besaß etwas ganz Besonderes. Denn bei der Geburt bekam ein jeder einen wundervoll glänzenden goldenen Löffel von den Königskindern geschenkt. Dieser Löffel war etwas Herrliches. Er war sehr schön anzusehen und es ist verständlich, dass jeder Wichtel auf „seinen“ Löffel besonders stolz war. Aber noch etwas Anderes machte diesen goldenen Löffel so wertvoll: Er hatte eine besondere Gabe. Man konnte damit Essen herbeizaubern! Das war sehr praktisch, denn waren die Wichtel einmal beim Spielen und hatten Hunger – das kam bei ihnen häufig vor – so mussten sie einfach nur den Löffel berühren und einige Zauberworte murmeln und, schwuppdiwupp, stand dort ein Tisch mit den leckersten Speisen, die man sich nur vorstellen kann. Knusprig gebratene Hähnchen, leckere Klöße, Schokoladenpudding, Eis, eine riesige Erdbeertorte und vieles mehr. Somit musste in diesem friedlichen Land niemand Hunger leiden.
Das Leben der Wichtel wäre bestimmt immer weiter so sorgenfrei gewesen, wäre nicht eines Tages etwas Schreckliches passiert. Noch heute versteht niemand, wie das geschehen konnte. Eines Tages, als die Wichtel wieder einmal beim Baden waren, verspürte einer von ihnen großen Hunger. Und als er seinen Löffel nehmen und Essen herbeizaubern wollte, war dieser verschwunden! Der kleine Mann suchte die ganze Wiese nach dem goldenen Löffel ab, tauchte verzweifelt den ganzen Nachmittag im See nach ihm, aber er blieb spurlos verschwunden. Der Löffel war gestohlen worden!
Der Wichtel weinte bitterlich. In seiner Not lief er zu den vier Königskindern und erzählte ihnen seine traurige Geschichte. Die Königskinder waren entsetzt, als sie diese Nachricht hörten, denn noch nie war in diesem friedlichen Land gestohlen worden, da alle alles besaßen, was sie zum Leben brauchten. Was sollten sie tun? Sie schickten den Wichtel nach Hause und berieten noch lange in die Nacht hinein.
Die Kunde vom gestohlenen Löffel verbreitete sich schnell. Nun geschah es, dass immer mehr goldene Löffel gestohlen wurden. Die Königskinder berieten sich erneut und kamen zu dem Entschluss, eine Versammlung mit den Wichteln einzuberufen. Bei dieser Versammlung erklärten sie den Wichteln, wie traurig sie über die Entwicklung im Land der Wichtel waren und teilten ihnen mit, dass die Wichtel untereinander eine Lösung finden sollten. Damit verließen sie die Versammlung.
Ein langes Schweigen entstand unter den Wichteln. Niemand wusste Rat. Wie sollte man das Problem lösen? Plötzlich hatte einer der ältesten Wichtel eine Idee. Es sollte ein Vorstand gebildet werden und jeder einzelne Wichtel verhört werden. Alle nahmen den Vorschlag mit Begeisterung an, denn niemand hatte eine bessere Idee.
Also wurde ein Vorstand aus den ältesten und weisesten Wichtel gebildet. Einer nach dem anderen musste sich dem Verhör unterziehen. Es war das grausamste, was in der – früher so großartigen – Wichtelwelt geschah. Denn die weisen Wichtel nutzten ihre Macht aus, so wie man es sich nie hätte träumen lassen. Ja, manchmal schlugen sie sogar einen ihrer Freunde. Das ganze Land stand Kopf, es hatte sich derart verändert, wie man es nie für möglich gehalten hätte. Die sonst so fröhlichen Wichtel waren traurig und niedergeschlagen. Misstrauen machte sich breit. Ein Wichtel beschuldigte den anderen, einen Löffel gestohlen zu haben. Es war schrecklich.
Als nun alle Wichtel wieder zusammen saßen, um zu beraten, wie es denn nun weitergehen sollte, erhob sich der jüngste Wichtel. Es war sehr beliebt bei allen, weil er sehr hübsch und hilfsbereit war. Er nahm all seinen Mut zusammen und sagte schluchzend: „Ich war es. Ich habe einen dieser goldenen Löffel genommen. Ich kann es auch erklären. Der Löffel lag auf der Wiese und es war eigentlich erst Spaß. Aber als ich dann erfuhr, wie traurig der Wichtel war und alles immer schlimmer wurde, konnte ich ihn nicht mehr zurückgeben, weil ich mich so schämte. Es tut mir so leid“. Der Wichtel weinte. Na, das war vielleicht eine Aufregung. Viele schimpften über den mutigen Wichtel und einige sagten sehr böse Sachen. Denn die Herzen vieler Wichtel waren schon so hart geworden von der Bosheit, die sich zugetragen hatte und so voller Misstrauen und Argwohn, dass sie gar nicht mehr merkten, wie mutig und tapfer dieses Geständnis doch eigentlich war.
Die anderen Diebe wurden nie gefunden. Es war wohl Feigheit und Angst, die sie schweigen ließ. Aber viele wünschten sich im Grunde ihres Herzens, dass alle so mutig und ehrlich wie der Wichtel wären, damit sie wieder so friedlich und glücklich miteinander leben konnten wie früher und endlich diese Misstrauen aus ihrem Leben verschwand.
(c) 2009 Karin Eck
Fragen zur Geschichte:
- Was gefällt dir an der Geschichte? Was nicht?
- Wie beurteilst du die Reaktion der Königskinder auf den Diebstahl?
- Hat sich der kleine Wichtel richtig verhalten?
- Warum hat sich durch das Geständnis des kleinen Wichtels die Situation nicht verändert?
- Was hätte passieren müssen, damit das Vertrauen wieder hergestellt wird?
Wie kann die Geschichte weitergehen? Schreibe deine eigene Fortsetzung und sende sie an heaven.com@gmx.at
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